Unternehmenskauf (M&A) – Haftung des Veräußerers gegenüber dem Erwerber im Rahmen eines Verkaufs bzw. einer Abtretung von Geschäftsanteilen

Rechtlicher Rahmen

Die Haftung des Veräußerers im Falle einer Verletzung von vorvertraglichen Aufklärungspflichten beim Verkauf bzw. der Abtretung von Geschäftsanteilen basiert im deutschen und französischen Recht auf einer unterschiedlichen Rechtsgrundlage. Dies wird  im Folgenden anhand eines Urteils des Berufungsgerichts von Paris vom 14.09.2023 (Nr. 21/22491) dargestellt.

 

In diesem Urteil hat das Berufungsgericht entschieden, dass ein Veräußerer von Geschäftsanteilen seine vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt, wenn er den Erwerber nicht über Änderungen in der Buchführung informiert, die sich auf den EBITDA-Wert auswirken, obwohl er weiß, dass der Erwerber den für die Geschäftsanteile angebotenen Kaufpreis auf der Grundlage des EBITDA-Wertes berechnet hat.

 

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall hatte der Erwerber von Geschäftsanteilen einer Unternehmensgruppe, die er im Oktober 2016 erworben hatte, dem Veräußerer vorgeworfen, seine vorvertragliche Aufklärungspflicht im Sinne von Artikel 1112-1 des französischen Zivilgesetzbuchs verletzt zu haben. Die Pflichtverletzung läge darin, dass der Veräußerer ihn nicht über im Jahr 2016 vorgenommene Änderungen in der Buchführung informiert hatte, die sich auf die Berechnung des EBITDA-Wertes ausgewirkt hatten, auf dessen Grundlage der Erwerber einen Kaufpreis angeboten und die Anteile schließlich zu diesem Preis erworben hatte.

 

Entscheidungsgründe

Das Berufungsgericht von Paris teilte die Auffassung des Erwerbers, indem es entschied, dass dieser nicht nur in seinem Letter of Intent (LOI), sondern auch in seinem endgültigen schriftlichen Kaufangebot angegeben hatte, den angebotenen Kaufpreis auf der Grundlage des EBITDA-Wertes berechnet zu haben. Dem Veräußerer musste daher bewusst gewesen sein, dass eine sich auf die Berechnung des EBITDA-Wertes niederschlagende Änderung in der Buchführung für die Zustimmung des Erwerbers zum Kauf der Geschäftsanteile entscheidend war. Da der Veräußerer den Erwerber nicht über diese Änderungen informiert hatte, haftete er auf vertraglicher Grundlage und war dem Erwerber gegenüber schadensersatzpflichtig.

 

Der Erwerber wurde daher vom Veräußerer in Höhe des ihm entstandenen Schadens entschädigt, d.h. in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlich im Rahmen der Veräußerung gezahlten Kaufpreis und dem Kaufpreis, den er gezahlt hätte, wenn er Kenntnis von den Änderungen in der Buchführung und damit des korrekten EBITDA-Wertes gehabt hätte.

 

Fazit

In diesem Zusammenhang weist das Berufungsgericht auch auf die Vorschriften von Artikel 1112-1 des französischen Zivilgesetzbuchs hin, wonach seit der Zivilrechtsreform im Jahr 2016 derjenige, der seine vorvertragliche Aufklärungspflicht verletzt, nicht nur hierfür haftbar gemacht werden kann, sondern eine solche Pflichtverletzung auch zur Vertragsaufhebung nach den Artikeln 1130 ff. des französischen Zivilgesetzbuchs führen kann. Der Artikel 1112-1 des französischen Zivilgesetzbuchs lässt offen, auf welcher Grundlage – vertraglich oder außervertraglich (deliktisch) – eine Partei für die Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht haftet. Auch wenn die h.M. in der Literatur davon ausgeht, dass vorvertragliche Pflichtverletzungen lediglich auf einer außervertraglichen (deliktischen) Grundlage entschädigt werden können, folgt die Rechtsprechung dieser Auffassung nicht immer, wie das vorliegende Urteil im Übrigen zeigt. Die Wahl der Anspruchsgrundlage (vertraglich oder außervertraglich bzw. deliktisch) kann in der Praxis erhebliche Auswirkungen haben, da bei der Geltendmachung von Ansprüchen auf vertraglicher Grundlage, dem Anspruchssteller grundsätzlich sämtliche im Verkauf- und Abtretungsvertrag vorgesehenen Einreden entgegengehalten werden können (Haftungsausschluss- oder -beschränkungsklauseln, Selbstbeteiligungsklauseln, Höchstbeträge usw.).

 

Deutsch-französischer Rechtsvergleich

Möchte ein Erwerber den Veräußerer im deutschen Recht wegen nicht hinreichender Aufklärung bzw. Verletzung einer vorvertraglichen Aufklärungspflicht in Anspruch nehmen, wird er als Anspruchsgrundlage regelmäßig die sog. culpa in contrahendo (c.i.c.) heranziehen. Die c.i.c. gehört zu den vertragsähnlichen Ansprüchen und bezeichnet die schuldhafte Verletzung von Pflichten aus einem vorvertraglichen (gesetzlichen) Schuldverhältnis. Im Rahmen von Unternehmenskäufen nimmt der BGH eine gesteigerte Aufklärungspflicht an, weshalb im deutschen Recht – wie auch im französischen Recht, wo die vorvertragliche Aufklärungspflicht seit der Zivilrechtsreform im Jahr 2016 gesetzlich verankert ist – in besonderem Maße auf eine richtige und vollständige Aufklärung geachtet werden muss.

 

Viviane EBERSOLD

Avocat & Rechtsanwältin

viviane.ebersold@abci-avocats.com