Frankreich: Ausgleichsanspruch bei Beendigung des Handelsvertretervertrags – Geltendmachung unterliegt keinem Formerfordernis

Rechtlicher Rahmen

Der Handelsvertreter hat nach Beendigung des Handelsvertretervertrags einen Ausgleichsanspruch, den er innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Vertragsverhältnisses geltend machen kann (Art. L. 134-12 des französischen Handelsgesetzbuchs). Hierzu muss der Handelsvertreter dem Unternehmer gegenüber die unmissverständliche Absicht mitteilen, diesen Anspruch einzufordern. In einem aktuellen Urteil der Handelskammer des französischen Kassationsgerichtshofs vom 20.03.2024 (Nr. 22-22.799) stellt diese klar, dass eine solche Mitteilung keinem besonderen Formerfordernis unterliegt.

 

Sachverhalt

Im vorliegenden Fall wurde im Mai 2009 einen Handelsvertretervertrag geschlossen. Am 01.03.2014 kündigte der Unternehmer den Handelsvertretervertrag wegen schwerer Pflichtverletzungen des Handelsvertreters. Am 30.10.2014 hat der Rechtsanwalt des Handelsvertreters den Rechtsanwalt des Unternehmers schriftlich darüber informiert, dass sein Mandant mangels eines „Vorschlags für einen angemessenen Ausgleich“ „gerichtliche Schritte einleiten“ werde.

 

Der Unternehmer rügte das Urteil des Berufungsgerichts Aix-en-Provence, das einen Ausgleichsanspruch des Handelsvertreters in Höhe von EUR 382.846,72 feststellte, und begründete dabei wie folgt:

  • Ein vom Rechtsanwalt des Handelsvertreters an den Rechtsanwalt des Unternehmers gerichtetes Schreiben könne nicht als Mitteilung im Sinne von Artikel L. 134-12 des französischen Handelsgesetzbuchs gelten und,
  • der bloße Hinweis, dass der Handelsvertreter mangels eines „Vorschlags für einen angemessenen Ausgleich“ „gerichtliche Schritte einleiten“ würde, ließe – insbesondere vor dem Hintergrund, dass kein konkreter Betrag genannt wurde – die unmissverständliche Absicht, den Ausgleichsanspruch geltend zu machen, nicht erkennen. 

 

Entscheidungsgründe

Der französische Kassationsgerichtshof folgte der Argumentation des Unternehmers nicht und entschied, dass aus Artikel L. 134-12 Abs. 2 des französischen Handelsgesetzbuches hervorginge, dass die Mitteilung, mit der der Handelsvertreter den Unternehmer über die Absicht der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs informiert, keinem besonderen Formerfordernis unterliege. Somit könne eine solche Mitteilung wirksam vom Rechtsanwalt des Handelsvertreters an den Rechtsanwalt des Unternehmers erfolgen. Außerdem zeige der Wortlaut des Schreibens die unmissverständliche Absicht des Handelsvertreters, den Ausgleichsanspruch geltend zu machen, die konkrete Angabe des geforderten Betrags sei nicht erforderlich.

 

Fazit

Der Handelsvertreter ist somit nicht verpflichtet, den Ausgleichsanspruch innerhalb eines Jahres selbst gegenüber dem Unternehmer geltend zu machen. Da die Mitteilung keinem besonderen Formerfordernis unterliegt, ist es möglich und in der Praxis durchaus zu empfehlen, dass jede Mitteilung über die Beendigung des Vertrags und die Forderung nach einem Ausgleich zwischen Rechtsanwälten erfolgt, vorausgesetzt, aus dieser Mitteilung geht die klare und unmissverständliche Absicht des Handelsvertreters, den Ausgleichsanspruch geltend zu machen, hervor.

 

Deutsch – französischer Rechtsvergleich

Das deutsche Recht enthält bezüglich der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs des Handelsvertreters ähnliche Regelungen wie das französische Recht: Gemäß § 89b Abs. 4 HGB hat der Handelsvertreter einen Ausgleichsanspruch, den er innerhalb eines Jahres nach Beendigung des Handelsvertretervertrags gegenüber dem Unternehmer geltend machen kann. Dabei muss der Handelsvertreter dem Unternehmer gegenüber unmissverständlich mitteilen, dass er den Ausgleichsanspruch verlangt. Das deutsche Recht schreibt diesbezüglich keine Formerfordernisse vor, so dass der Anspruch vom Handelsvertreter oder dessen Vertreter außergerichtlich oder gerichtlich, insbesondere durch Einreichung einer Klage, geltend gemacht werden kann (BGH 16. März 1970 – VII ZR 125/68). Ferner ist die konkrete Bezifferung in der Geltendmachung des Ausgleichsanspruchs nicht erforderlich, um die Frist zu wahren (BGH 12. Juni 1963 – VII ZR 272/61). Trotz dieser Ähnlichkeiten unterscheiden sich das deutsche und das französische Recht hinsichtlich der Höhe des Ausgleichsanspruchs: Diese wird im deutschem Recht nach komplexen gesetzlichen Kriterien berechnet und ist in jedem Fall auf eine Jahresprovision begrenzt, die sich aus den durchschnittlich in den letzten fünf Jahren erhaltenen Jahresprovisionen errechnet (§ 89b Abs. 2 HGB). Im französischen Recht beläuft sich die Höhe des Ausgleichsanspruchs dagegen in der Regel auf zwei Jahresprovisionen, die sich aus den in den letzten zwei oder drei Jahren erhaltenen Provisionen berechnen.

 

Jochen BAUERREIS

Avocat & Rechtsanwalt

jochen.bauerreis@abci-avocats.com

 

Viviane EBERSOLD

Avocat & Rechtsanwältin

viviane.ebersold@abci-avocats.com