Frankreich: betriebsbedingte Kündigung wegen Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit – eine Änderung des Arbeitsvertrags muss nicht „unbedingt notwendig“ sein

In einem Urteil vom 15. November 2022 hat der französische Verwaltungsgerichtshof (Conseil d´État) die Grenzen der Kontrolle der Arbeitsaufsichtsbehörde im Falle einer betriebsbedingten Kündigung präzisiert. Im vorliegenden Fall sollte die Arbeitsaufsichtsbehörde die betriebsbedingte Kündigung eines geschützten Arbeitnehmers (salarié protégé) genehmigen, die auf der Weigerung des Arbeitnehmers beruhte, seinen Arbeitsvertrag aus wirtschaftlichen Gründen abzuändern (CE, 15.November 2022, n°449317).

Das Gericht muss zwar prüfen, ob die vom Arbeitgeber vorgenommene Umstrukturierung mit der Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens in Zusammenhang steht, es ist jedoch nicht die Aufgabe des Gerichts zu prüfen, ob der Arbeitgeber die wirtschaftlich effizienteste oder arbeitnehmerfreundlichste Umstrukturierung gewählt hat und ob die vorgeschlagene Änderung des Arbeitsvertrags für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unerlässlich oder unbedingt notwendig ist.

Im vorliegenden Fall wurde einem geschützten Arbeitnehmer, einem Personalvertreter, die Abänderung seiner Vergütung aus wirtschaftlichen Gründen angeboten. Da der Arbeitnehmer die Abänderung ablehnte, beantragte der Arbeitgeber bei der Arbeitsaufsichtsbehörde die Genehmigung für dessen Kündigung, die auch erteilt wurde.

Dauraufhin klagte der Arbeitnehmer vor dem französischen Verwaltungsgerichtshof (Tribunal administratif), der die von der Arbeitsaufsichtsbehörde erteilte Genehmigung für nichtig erklärte. Die Berufung des Arbeitgebers wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass die Arbeitsaufsichtsbehörde die Kündigung genehmigt hatte, ohne zu prüfen, ob die vorgeschlagene Vertragsänderung für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich „unbedingt notwendig“ war. Gegen diese Entscheidung legte der Arbeitgeber Revision ein.

Nach Ansicht des französischen Verwaltungsgerichtshofs war die Entscheidung des  Berufungsgerichts rechtsfehlerhaft. Nach der Rechtsprechung des französischen Kassationsgerichtes (Cour de Cassation) ist es nicht die Aufgabe des Gerichts, die vom Arbeitgeber getroffene Wahl zwischen den verschiedenen Umstrukturierungsmöglichkeiten zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu überprüfen (Cass. ass. plén., 8. Dezember 2000, Nr. 97-44.219; Cass. soc. 24. März 2010 Nr. 09-40.444 F-D; Cass. soc. 29. Februar 2012 Nr. 10-26.185 F-D).

Darüber hinaus schreiben weder Gesetz noch Rechtsprechung vor, dass die Änderung für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit unbedingt notwendig oder unerlässlich sein muss. Artikel L.1233-3 des französischen Arbeitsgesetzbuchs sieht lediglich vor, dass die Änderung des Arbeitsvertrags die Folge der betreffenden Umstrukturierung sein muss, die ihrerseits für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit erforderlich ist.

Diese Entscheidung ist an andere Urteilen anzulehnen, die im Zusammenhang mit der Kündigung von geschützten Arbeitnehmern im Bereich der  Pflicht zur Neubeschäftigung (CE, 12. April 2022, Nr. 442338), des Umfangs der Beurteilung des wirtschaftlichen Grundes in einem Konzern (CE, 29. Juni 2020, Nr. 417940) und der Nichteignung und Unmöglichkeit der Neubeschäftigung (CE, 18. November 2020, Nr. 427234) ergangen sind.

 

Claire CHEVALIER, LL.M. Köln / Paris I

Avocat associé & Rechtsanwältin (Partnerin)

Chargée d’enseignement à l’Université de Strasbourg

Membre fondateur DAV Strasbourg / Gründungsmitglied DAV Straßburg

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